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Beate Boeker

Ferien Furioso

Florentinische Morde #9

Im Urlaub eine Familie entdecken, von der man noch nichts wusste: Das sorgt für gemischte Gefühle, insbesondere, wenn kurz danach ein Mordanschlag folgt.

    Blurb

    Commissario Garini möchte einfach nur mit seiner Frau romantische Ferien auf Sardinien verbringen, doch dann kommt alles anders als geplant. Entsetzt stellt er fest, dass er eine große – ihm bis dato unbekannte – Familie vor Ort hat, die so exzentrisch ist, dass sie glatt seiner Schwiegerfamilie das Wasser reichen kann. Und dann entkommt er nur knapp einem Mordversuch. Seine Welt gerät ins Wanken. Kann es sein, dass seine neu gefundene Familie sich gar nicht über sein plötzliches Erscheinen freut?

    »Das war’s.« Stefano Garini blickte seine Frau an. »Mir reicht’s.«

    Carlina blinzelte. »Was meinst du?«

    »Wir hatten gerade den fünften Anruf heute, und sie sind alle von deiner Familie.«

    Sie zuckte zusammen und hob eine Hand an die Schläfe. »Es tut mir leid. Ich hätte die Anrufe angenommen, aber ich habe solche Kopfschmerzen.«

    »Ich weiß.« Er lächelte sie an und berührte leicht ihre Wange. »Und weißt du was? Ich bin sogar dankbar dafür.«

    »Wie bitte?«

    »Das klang jetzt völlig falsch. Aber es hat mir gezeigt, was ich schon längst hätte bemerken sollen: Deine Familie stresst dich. Und mich auch. Wir brauchen eine Pause.« Er blickte prüfend in ihr Gesicht. Ihre Augen sahen müde aus. »Du bist zu blass, amore

    Sie lächelte. »Eine Pause klingt wunderbar. Vielleicht können wir im nächsten Monat –«

    »Nein. Bis zum nächsten Monat dauert es zu lange. Ostern.«

    »Ostern?« Sie starrte ihn an. »Aber Ostern ist doch schon nächste Woche!«

    »Genau.« Er nickte wild entschlossen. »Wir haben sieben Familieneinladungen, bei denen wir alle erscheinen sollen, und ich habe auf keine einzige Lust.«

    Sie verzog das Gesicht. »Das tut mir leid.«

    »Das braucht dir nicht leidzutun.« Er lachte sie an. »Zufälligerweise ist gerade keiner meiner Kollegen krank oder im Urlaub, und ich habe jede Menge Überstunden. Ich werde Cervi einfach darüber informieren, dass commissario Garini Ostern ein paar Tage Urlaub nehmen wird, in der Hoffnung, dass es ausnahmsweise einmal keinen Mord gibt, der dazwischenkommt und sofort gelöst werden muss. Außerdem habe ich aktuell sowieso keinen Assistenten, seitdem Piedro befördert und in eine andere Stadt versetzt worden ist.« Sein Lächeln wurde breiter. »Darüber freue ich mich immer noch. Wie sieht es aktuell bei dir im Geschäft aus?«

    Carlina rieb sich die Schläfen. »Ostern ist eine wichtige Zeit im Laden, aber ich kann Elena bitten, zu übernehmen. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt einen Tag freigenommen habe.«

    Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und massierte sie sanft.

    »Ahh, das tut gut.« Sie schaffte ein Lächeln. »Aber ich fürchte, meine Familie wird nicht glücklich sein.«

    »Ich bin bereit, die Schuld auf mich zu nehmen.« Er zwinkerte ihr zu. »Wir behaupten einfach, dass ich in einem spontanen Anfall einen Kurzurlaub über Ostern geplant und dich damit überrascht habe. Du hattest keine Ahnung, also kann dir kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass du die acht wichtigen Familientreffen über Ostern verpasst.«

    »Vor einer Minute waren es noch sieben.«

    »Sie vermehren sich in der Sekunde, in der du sie aus den Augen lässt.«

    Sie gab ihm einen Klaps. »Du bist frech.«

    Er lachte. »Überhaupt nicht.«

    Carlina lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Gut. Leg los und organisiere die Überraschung. Ich weiß von nichts, also sag mir nicht, wohin wir fahren, bis wir am Flughafen ankommen.«

    »Einverstanden.«

    * ~ *

    Eine Woche später legte er ihr den Arm um die Schultern, während er sie zum Check-in-Tresen führte. »Du darfst dreimal raten«, sagte er.

    »Eine kleine Insel in Deutschland ohne Autos«, sagte sie, ohne eine Sekunde zu zögern.

    »Falsch. Zu kalt in dieser Jahreszeit. Wir haben gerade mal Ende April.«

    »Irgendwo in Afrika?«

    Er lachte. »Wieso Afrika?«

    »Weil du immer sagst, dass du irgendwohin möchtest, wo es keinen Telefonempfang gibt.«

    »Ich fürchte, an unserem Zielort gibt es Telefonempfang. Es ist tatsächlich kein sehr abenteuerliches Ziel. Aber wir können unsere Telefone ausstellen, dann haben wir eine familienfreie Zone.«

    »Das klingt traumhaft.«

    »Einmal darfst du noch raten.«

    »Sardinien.«

    »Richtig!« Er starrte sie an. »Wie um alles in der Welt bist du darauf gekommen?«

    »Na ja, wir haben ja letztes Jahr diesen entspannten Tag in Enzos Haus dort verbracht, und wir haben beide gesagt, wie gern wir ohne Familie zurückkehren würden. Werden wir bei Enzo wohnen?«

    »Nein. Ich habe niemandem verraten, wo wir hinfliegen. Wenn ich Enzo gebeten hätte, uns sein Haus zu leihen, hätte der Rest der Familie sich wahrscheinlich spontan entschlossen, auch gleich mitzukommen.«

    Carlina lächelte etwas schief. »Ich fürchte, da hast du recht. Also diesmal sind wir ganz normale Touristen. Nur wir zwei.«

    »Ja. Nur wir zwei.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie.

    »Das sind die schönsten Worte, die ich seit sehr langer Zeit gehört habe.«

    Er fuhr ihr durch die Locken, plötzlich unfähig zu sprechen, weil ihn eine Welle der Zärtlichkeit überflutete.

    Carlinas katzenähnliche Augen leuchteten. »Wo werden wir wohnen?«

    »Ich habe ein kleines Ferienhäuschen in Chia gemietet. Nur für uns.«

    »Wo ist Chia?«

    »Ungefähr eine Stunde von der Hauptstadt Cagliari entfernt, ganz im südlichsten Zipfel der Insel. Direkt gegenüber von Afrika.«

    »Direkt gegenüber von Afrika! Das klingt, als ob es richtig heiß wird.«

    »Schon möglich. Ich habe vergessen, mir die Wettervorhersage anzusehen.«

    Aber als sie den Flughafen in Cagliari verließen, um ihren Mietwagen abzuholen, warf Carlina einen bedenklichen Blick in den grauen Himmel. »Es wirkt ein wenig so, als ob wir doch in Deutschland gelandet wären.«

    Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich heran. »Ich bin sicher, dass es bald wärmer werden wird.«

    »Hoffentlich. Ich habe keine Wintersachen eingepackt.« Ein plötzlicher Windstoß ließ ihre Jacke flattern.

    »Du hast keine Wintersachen eingepackt?« Er starrte auf den Berg an Taschen und Koffern, die Carlina als Gepäck aufgegeben hatte, und die sich nun auf dem Gepäckwagen stapelten. »Was ist denn dann da drinnen?«

    Carlina machte eine vage Handbewegung. »Das sind alles Sachen, die ich brauchen könnte.« Sie blickte sich um. »Wo ist denn jetzt unser Mietwagen? Fandest du die Frau an der Vermietung auch so komisch? Sie hat so seltsam gelacht.«

    »Ja, das ist mir auch aufgefallen. Und sie hat gleich gesagt, dass es kein anderes Auto mehr gab.« Stefano bog um eine Ecke. »Hier vorne müsste es eigentlich sein.« Er blieb wie angewurzelt stehen. »O nein.«

    Carlina riss die Augen auf, dann fing sie an zu lachen. »Ich fass es nicht!«

    »Dieser Wagen ist quietschpink.« Stefano sprach betont ruhig.

    »Ja.« Carlina rannte auf das hochgebaute Auto zu. »Und es ist auch kein Kleinwagen.«

    Stefano ging kopfschüttelnd einmal um das seltsame Gefährt herum. »Es ist mir unbegreiflich, wie so ein verrücktes Auto in einer Autovermietung landen kann.«

    Carlina öffnete schon eine Tür. »Ich finde es herrlich.«

    »Eins steht jedenfalls fest: Wir werden in null Komma nichts auf der ganzen Insel bekannt sein wie bunte Hunde.«

    »Egal.« Carlina lachte ihn an. »Wir sind im Urlaub. Es ist egal, was die anderen von uns denken.«

    »Recht hast du. Wichtig ist nur, dass wir viel Zeit für uns haben werden. Ich habe mir die Strecke vorher angesehen. Es geht immer an der Küste entlang.«

    Sie fuhren durch die Außenbereiche von Cagliari, mit dem Tyrrhenischen Meer zu ihrer Linken und einer flachen Salzlagune zu ihrer Rechten, als Carlina plötzlich sagte: »Ich bin mir nicht zu einhundert Prozent sicher, aber diese Vögel da hinten sehen aus wie Flamingos. Ist das möglich oder soll ich mich in eine Nervenanstalt einliefern lassen?«

    Er grinste. »Keine Angst. Das sind wirklich Flamingos. Ich habe es nachgelesen, und anscheinend flogen sie früher immer über den Winter nach Afrika, bis sie eines Tages beschlossen haben, dass das gar nicht mehr nötig ist. Seitdem leben sie das ganze Jahr über auf Sardinien.«

    »Ich habe sie noch nie in freier Natur gesehen. Das ist so cool!« Carlina verdrehte den Hals. »Aber sie sind nicht so pink, wie ich dachte.«

    »Sie werden nur pink, wenn sie jede Menge Krabben futtern. Ich weiß nicht genau, was sie hier zum Fressen finden.«

    »Wow. Was bin ich froh, dass es uns nicht so geht. Stell dir mal vor, wie ich aussehen würde.«

    »Nach der Menge an Salat zu urteilen, die du täglich vertilgst, hättest du eine grünliche Farbe. Vermutlich so, als ob du gleich ohnmächtig wirst. Ziemlich attraktiv.«

    Sie lachte, dann schaute sie nach vorn und schrie auf. »Oh, schau! Da fliegt einer. Das sieht so lustig aus mit diesem krummen Schnabel. Und die Unterseite der Flügel ist richtig pink, mit schwarzen Spitzen an den Enden. Wie großartig!«

    Er warf ihr einen raschen Blick zu und lächelte. Wie typisch für Carlina, dass sie vor Freude aufschrie, wenn sie etwas Schönes entdeckte. Er liebte sie dafür. Er liebte sie so sehr, dass es manchmal wehtat. Es machte ihm auch Angst, Angst, sie eines Tages zu verlieren. Er schob den Gedanken zur Seite. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um über traurige Dinge nachzudenken. Es gab ein anderes Thema, das er gern mit Carlina besprechen wollte, ein wichtiges Thema, das ihr gemeinsames Leben verändern würde. Als er Carlinas Cousine Emma mit ihrem Baby Zoe gesehen hatte, war ihm zu seiner eigenen Überraschung klar geworden, dass er auch Kinder haben wollte. Mit Carlina. Aber aus irgendeinem Grund hatten sie das Thema noch nie besprochen. Ihre Liebe hatte sich so perfekt angefühlt, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, ohne über die offensichtlichen Konsequenzen nachzudenken. Er war sich noch nicht einmal sicher, wie sie überhaupt zu Babys stand. Sie hatte sich niemals wie andere Frauen begeistert über kleine Babys gehängt und sie angegurrt. Er schluckte. Einer der Gründe, warum er Carlina zu diesem Urlaub überredet hatte, war der Plan, seinen Kinderwunsch mit ihr zu besprechen, ohne Unterbrechungen, ohne Druck, mit aller Zeit der Welt. Er seufzte glücklich, während sich die Vorfreude in ihm ausbreitete. Zehn Tage nur sie beide. Himmlisch.

    »Wahnsinn, hast du das gesehen? Sie haben ganze Hecken hier, die nur aus Kakteen bestehen! Rund um riesige Felder herum. So etwas habe ich in der Toskana noch nie gesehen.«

    »Ist wahrscheinlich billiger und effizienter als Zäune, um Tiere von den Feldern fernzuhalten. Immerhin sind sie selbst dann schon ein Hindernis, wenn sie noch klein sind.«

    »Du meinst, um die Felder vor Rehen zu schützen?«

    »Ja. Anscheinend gibt es einen besonderen Hirsch hier auf Sardinien, eine geschützte Art. Er ist ziemlich klein und selten. Und Wildschweine gibt es auch.«

    Ein Klingeln erklang aus Carlinas Handtasche.

    Stefano seufzte. »Deine Mutter.«

    Carlina beugte sich nach unten und zog den Reißverschluss auf. »Woher weißt du das?«

    »Ich fühle es in meinen Knochen. Eigentlich wird es Zeit, dass du einen besonderen Klingelton für deine Mutter einstellst.«

    »Zum Beispiel?«

    »Die Titelmusik von ›Der weiße Hai‹?«

    Sie lachte und schaute auf das Display. »Es ist tatsächlich mamma

    »Sag ich doch.«

    »Ciao, mamma!«

    »Carlina, mir ist gerade eingefallen, dass wir gar nicht über deine Blumen gesprochen haben.« Die Stimme von Carlinas Mutter war so laut, dass sie das Motorengeräusch mühelos übertönte. »Ich brauche deinen Haustürschlüssel, um sie zu gießen.«

    »Das ist alles erledigt, mamma. Du brauchst die Blumen nicht zu gießen.«

    »Aber sie werden vertrocknen!«

    »Nein, nein. Ich habe es schon arrangiert. Mach dir keine Sorgen.«

    »Aber wer –?«

    »Mamma, wusstest du, dass hier Flamingos frei herumfliegen? Es ist ganz surreal. Ich habe sie bis jetzt immer nur im Zoo gesehen.«

    »Flamingos? Wirklich?« Es klang missbilligend. »Aber die machen doch überall hin.«

    Carlina schaute aus dem Fenster auf die weiten Salzwiesen. »Hier ist Platz genug. Da schadet so ein wenig Flamingo-Pup gar nichts.«

    »Na, wenn du meinst …«

    »Ich muss auflegen, mamma, wir sind gleich da. Bitte grüße die ganze Familie und sag allen, dass wir gut angekommen sind.«

    Stefano warf ihr einen überraschten Blick zu. »Sonst würgst du deine Mutter nicht so ab.«

    Carlina kicherte. »Ich wollte nicht, dass sie wieder mit den Blumen anfängt. Ich habe Ernesto gebeten, sie zu gießen.«

    »Ernesto? Aber er studiert Chemie, nicht Biologie. Hast du nicht Angst, dass er deine Blumen für Experimente nutzt?«

    »Ich habe eher Angst, dass er sie völlig vergisst.«

    »Im Haus nebenan wohnen deine Mutter, deine Tante, dein Großonkel, deine Cousine mit ihrem Mann und die Freundin von Ernesto. Du hattest also eine große Auswahl, und ich muss gestehen, dass mir Ernesto als Blumengießer eher nicht eingefallen wäre.«

    Carlina nickte. »Auf den ersten Blick hast du recht. Aber das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der Person, die unsere Blumen gießt, ist mangelnde Neugier.« Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Oder glaubst du wirklich, dass mamma nur die Blumen gießt, wenn sie einmal den Schlüssel zu unserer Wohnung hat?«

    Ihm wurde kalt. »O Madonna, da hast du recht.«

    »Genau. Deshalb war Ernesto die beste Wahl. Und damit unsere Blumen nicht alle sterben, habe ich einen Wecker in sein Handy programmiert.«

    Er musste lachen. »Du denkst an alles, Carlina.«

    Sie stopfte ihr Telefon in ihre Tasche zurück. »Erzähl mir ein wenig mehr von Chia. Es ist eine kleine Stadt, sagst du?«

    »Ja. Deshalb gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Sie haben einen Leuchtturm und einen historischen Wachturm. Diese findest du übrigens rund um die Küste von Sardinien. Sie wurden von den Sarazenen alle in Sichtweite voneinander aufgebaut, sodass Warnungen schnell weitergegeben werden konnten.«

    Sie lachte. »Du klingst wie ein Reiseführer.«

    »Ich weiß. Aber dass die ganze Insel lückenlos mit Wachtürmen umringt ist, fasziniert mich. Wie lange es wohl dauerte, bis so ein Signal einmal rum war?«

    »Stunden.«

    »Ja. Das denke ich auch. Übrigens weiß ich noch mehr über Chia: Heute lebt das Städtchen hauptsächlich vom Tourismus. Wunderschöne Strände, Lagunen mit Flamingos und drei Restaurants oder so. Aber viel mehr ist da nicht.«

    »Vielen Dank, Herr Professor.« Carlina lachte ihn an. »Und warum hast du ausgerechnet Chia gewählt?«

    Er warf ihr einen schnellen Blick zu. »Zwei Gründe. Es gab ein günstiges Angebot im Internet. Und mein Vater wurde hier in der Gegend geboren.«

    Sie riss die Augen auf. »Dein Vater wurde auf Sardinien geboren? Das hast du noch nie erwähnt.«

    »Ich habe es selbst erst vor Kurzem erfahren. Er spricht nie davon. Es gab damals irgendeinen Familienkrach oder so. Aber neulich habe ich ihm geholfen, ein paar offizielle Formulare auszufüllen, und da stellte ich überrascht fest, dass er in Cagliari geboren wurde. Er war gar nicht glücklich darüber, dass ich das nun weiß.«

    »Warum nicht? Meinst du, er schämt sich, dass er von Sardinien kommt?«

    Stefano zuckte mit den Schultern. »Nach allem, was ich gehört habe, sind die Sarden auf ihre Abstammung normalerweise stolz wie die Könige. Vielleicht wurde er wegen seines Akzents gehänselt, als er in die Toskana kam? Ich weiß es wirklich nicht.«

    »Hast du ihn gefragt?«

    »Ja, aber er sagte, das sei alles Schnee von gestern, viel zu alte Kamellen, um sie wieder aufzuwärmen. Und dann hat er das Thema gewechselt.«

    »Das hätte mich noch viel neugieriger gemacht.«

    »Ich bin neugierig. Aber es ist schwierig, meinen Vater zum Reden zu bringen, wenn er nicht will.«

    »Ich weiß.«

    »Woher? Du kennst ihn doch kaum.«

    »Ich kenne seinen Sohn.«

    »Ha. Ich bin im Vergleich zu meinem Vater eine Plaudertasche.«

    »Um Himmels willen.« Carlina wandte den Kopf. »Oh, schau mal das Restaurant dort! Das sieht richtig einladend aus. Und ich bin am Verhungern.«

    Er lächelte und fuhr in einem weiten Bogen in die Einfahrt, der niedrigen Steinmauer folgend, die zum Parkplatz führte. »Schön, dass es dir gefällt. Das ist schon Teil unserer Hotelanlage, und hier bekommen wir unsere Schlüssel.«

    »Oh, wie schön! Dann können wir essen gehen, sobald wir unsere Taschen fallen gelassen haben.«

    »Die zehn Taschen meinst du?« Er zwinkerte ihr zu. »Kleinigkeit.«

    Dreißig Minuten später saßen sie in dem Restaurant. Es war eindeutig für wärmeres Wetter gebaut worden, und eine Wand war nur provisorisch errichtet. Windstöße fegten durch die schlecht sitzenden Glasscheiben, und die schmalen Wandelemente klapperten in ihren dünnen Aluminiumrahmen.

    Nachdem sie bestellt und schon ihren Wein bekommen hatten, beäugte Carlina die Wand und fröstelte. »Ich bin nicht sicher, ob diese Wand da den Abend überstehen wird.«

    »Es ist ganz bestimmt nicht der erste Sturm, den sie hier je erlebt haben. Schau in die andere Richtung. Da wächst ein Feigenbaum aus der Wand.«

    Sie drehte sich um und blinzelte. »Tatsächlich. Gefällt mir.«

    »Mir auch.«

    »Sie haben das Haus um den Baum herum gebaut.«

    »Sieht ganz so aus.«

    Carlina drehte sich wieder zu ihm um, sodass sie jetzt mit dem Gesicht zur Restauranttür saß. Sie hob ihr Glas und lächelte ihn an. »Ich kann es gar nicht erwarten, den Rotwein zu probieren. Wenn der Kellner recht hat, sind die sardischen Cannonau-Trauben umwerfend gut.«

    »Das sollten sie zumindest sein, bei all der Sonne, die sie erhalten.« Er hob sein Glas, blickte in ihre katzenähnlichen Augen und nahm einen kleinen Schluck. Das weiche Aroma des Weines explodierte in seinem Mund und füllte ihn auf der Stelle mit einem tiefen Wohlgefühl. Delizioso. Er holte tief Luft. Warum länger warten? Der Gedanke begleitete ihn ständig, und je früher er ihn loswurde, umso besser würde er sich fühlen. »Hast du das kleine Mädchen da auf dem Schoß ihres Vaters gesehen, direkt neben dem Eingang? Ich habe mich gefragt, ob –«

    Carlina blickte zum Eingang und wurde blass. Ihre Augen wurden größer und größer, und die Hand, die das Weinglas hielt, sank auf den Tisch herab, als ob sie nicht mehr die Kraft hätte, das Glas hochzuhalten. »O Madonna.«